Presseschau: Versammlungsfreiheit mit roten Linien

Rot-Rot-Grün stärkt und liberalisiert trotz des Rechtsrucks das Demonstrationsrecht in der Hauptstadt

von Martin Kröger

Die Bilder von der Stürmung des Washingtoner Kapitols durch rechte Putschisten gingen um die Welt. Auch die Aufnahmen von Rechtsextremen mit Reichsflaggen auf der Treppe zum Deutschen Bundestag sind noch in schlechter Erinnerung. Trotz dieser aktuellen Ereignisse – oder gerade deswegen – will die rot-rot-grüne Koalition in Berlin jetzt eines der liberalsten Versammlungsgesetze in Deutschland schaffen. »Ja, die Demokratie steht durch die Angriffe von Rechtspopulisten und Corona-Leugnern unter Druck«, räumt der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Sebastian Schlüsselburg, gegenüber »nd« ein. Während Bundesländer wie Sachsen-Anhalt auf diese Entwicklungen aber mit Verschärfungen reagieren würden, setze Rot-Rot-Grün darauf, die Versammlungsfreiheit auszuweiten. »In Berlin gilt«, so Schlüsselburg, »im Zweifel für die Versammlungsfreiheit.«

An diesem Montag sollen letzte Änderungen im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses final beschlossen werden, die das neue »Gesetz über die Versammlungsfreiheit im Land Berlin«, wie es offiziell heißt, betreffen. Wenn der Ausschuss grünes Licht gibt, soll das Plenum des Abgeordnetenhauses das liberale Versammlungsrecht wohl am 11. Februar beschließen. Zuletzt hatten sich die Parlamentarier in einer Anhörung mit dem Gesetzesvorhaben beschäftigt, das für eine liberale rot-rot-grüne Innenpolitik stehen soll.

Kernvorhaben des Gesetzes ist es, das Versammlungsrecht zu stärken. Diesem Zweck dienen eine ganze Reihe von Veränderungen (siehe Kasten). Sebastian Schlüsselburg: »Als erstes Bundesland schaffen wir ein gesetzliches Deeskalationsgebot für die Polizei und stellen klar, dass sie zur Kooperation mit den Demonstrierenden verpflichtet ist.« Neben einem ungehinderten Zugang zu Demonstrationen soll künftig zudem gewährleistet werden, dass Zivilpolizisten keine verdeckten Bild- und Tonaufnahmen von Demonstrierenden mehr machen. »Bundesweit einmalig wird das Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot eingeschränkt. Künftig ist nur noch die tatsächliche Verwendung der Gegenstände zu den verbotenen Zwecken verboten und nicht mehr das bloße Mitsichführen«, erläutert der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion.

Um zu protestieren oder Unterschriften für Volksbegehren zu sammeln, dürfen sich Menschen künftig zudem auch auf privaten Grundstücken wie Shopping Malls zusammenfinden. Neu ist auch, dass Demonstrationen vor dem Abgeordnetenhaus erlaubt werden, das Konzept der Bannmeile in seiner ursprünglichen Form gibt es nicht mehr. Der Präsident des Abgeordnetenhauses, Ralf Wieland (SPD), kann jedoch bei entsprechenden Vorerkenntnissen solche Versammlungen untersagen, bei denen davon auszugehen ist, dass eine Störung des Parlamentsbetriebs geplant wird. Die neuen Freiheiten gelten ohnehin nur, wenn die Demonstrationen friedlich ablaufen.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/1147328.demonstrationsrecht-versammlungsfreiheit-mit-roten-linien.html