Presseschau: Selbstbestimmte Frauen Schwanger unterwegs im Politik-Alltag

Berlin –

Jeden Morgen der gleiche Stress. Schnell zur Kita hetzen, in der einen Hand das Kind, in der anderen das Laufrad, das Handy. Um neun beginnt die morgendliche Telefonkonferenz, die Zeit tickt. In der Kita-Garderobe noch hundert kleine Kämpfe, will keine Hausschuhe, habe ein Aua, will dieses, will jenes, wo ist meine Brotbüchse, man spürt, wie der Schweiß am Rücken runterläuft, gleich klingelt das Handy. Klappt es diesmal? Ist das Kind pünktlich in seiner Gruppe, bevor das Telefon klingelt und man eine Meinung zum jeweiligen tagesaktuellen politischen Aufreger formulieren muss?

Große Veränderungen deuten sich manchmal darin an, dass viele Menschen gleichzeitig denken: Es ändert sich nie was.

Manchmal braucht es keine großen Veränderungen

Kürzlich hat die Berliner Grünen-Fraktion die sogenannte Morgenlage, bei der man sich in einer Telefonkonferenz über die Themen des Tages austauscht, die politische Stoßrichtung festlegt, von neun Uhr auf neun Uhr fünf verlegt. Es sind nur fünf Minuten, aber es sind genau die fünf Minuten, die man braucht, um ein Kind der Erzieherin zu übergeben, zur Tür zu gehen, einmal durchzuatmen.

„Das erleichtert uns die Arbeit ungemein“, sagt Fraktionschefin Antje Kapek, Mutter zweier Kinder, vier und sieben Jahre alt. Auch ihre Co-Chefin, Silke Gebel, hat Nachwuchs im Kita-Alter. Manchmal braucht es keine großen Veränderungen, um Politik familienfreundlicher zu machen.

Maren Jasper-Winter ist spät dran, sie kommt von einer Fraktionssitzung im Abgeordnetenhaus in ihr Büro geeilt. Es liegt in der Torstraße in Mitte, in einer dieser angesagten Büro-WGs, Co-Working-Spaces genannt. Maren Jasper-Winter, 41 Jahre alt, gelernte Juristin, seit 2016 für die FDP im Berliner Parlament, lässt sich auf ihren Stuhl fallen.

Neben der Tür stehen noch Saftkisten, Getränke von der letzten Veranstaltung am Abend zuvor, zu der die frauenpolitische Sprecherin eingeladen hat. Es war ein „Open Space“, wie sie es nennt, am frühen Abend und mit Babysitter, damit Eltern kleiner Kinder kommen können. „Es waren auch Leute dabei, die gesagt haben, dass sie sonst nicht gekommen wären“, sagt sie und streicht über ihren Bauch. Sie erwartet ihr zweites Kind. Es ist Ende Januar, noch sechs Wochen Zeit bis zum Entbindungstermin.

„Learning by Doing“

Sie hat sich vorgenommen, etwas kürzerzutreten, weniger Termine zu machen. „Alle fragen: Wie wirst du das hinkriegen ohne Elternzeit“, sagt sie und lächelt ein wenig darüber, wie viel Aufregung so ein Babybauch stiften kann.

Zwar haben schwangere Politikerinnen Anspruch auf sechs Wochen vor und acht Wochen Mutterschutz nach der Geburt. In der Zeit dürfen sie entschuldigt im Parlament fehlen. Aber eine längere Babypause sieht die Geschäftsordnung nicht vor. Acht Wochen nach der Geburt sollte Maren Jasper-Winter wieder an Plenums- und Ausschusssitzungen teilnehmen, sonst wird ihr Geld abgezogen.

Wie das klappen wird, ob sie ihren Säugling mit in die Sitzungen nimmt, kann sie noch nicht sagen. „Das ist für uns alle Neuland“, sagt sie. Andere Fraktionen haben das hinter sich, aber bei der FDP ist Maren Jasper-Winter die Erste, wie während der Legislaturperiode ein Kind bekommt. Sie ist eine von zwei Frauen in der Fraktion. „Es geht jetzt darum, das selber zu gestalten und herauszufinden, wie man das organisiert. Learning by Doing“, sagt sie.

So viel Aufregung

Politikerinnen, die während der Amtszeit ein Kind bekommen, sind immer noch etwas Besonderes, eine Ausnahme, manchmal sogar ein Spektakel. Als die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern im Januar mitteilte, dass sie mit ihrem Partner ein Kind erwarte, brach in ihrem Land eine Hysterie aus, die „Jacincababymania“. In Talkshows wurde ihre Familienplanung diskutiert: Kann sie Premierministerin und Mutter sein? Geht das?

Politikalltag und Babys, das schien lange nicht so recht zusammenzupassen. Spitzenpolitikerinnen wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Claudia Roth, Renate Künast, Heide Simonis oder Angela Merkel verzichteten auf Nachwuchs. Andere wie Ursula von der Leyen machten erst Karriere, als die Kinder aus dem Gröbsten raus waren.

Die erste deutsche Bundesministerin, die im Amt ein Kind bekam, hieß Kristina Schröder. Die damalige Familienministerin brachte 2011 ihre Tochter Lotte zur Welt. Acht Wochen später saß sie wieder am Kabinettstisch. Kürzlich gab sie ein Interview, in dem sie berichtete, wie sehr sie unter der Trennung von ihrem Baby gelitten hat. „An manchen Tagen sah ich sie zehn Stunden nicht“, sagte sie der Zeit.

Der Alltag in der Politik, der Druck, ständig verfügbar sein zu müssen, und ihre Vorstellungen von ihrer Mutterrolle passten nicht zusammen. Kristina Schröder hat die Politik inzwischen verlassen, ihr drittes Kind bekommen. Sie scheint zu bestätigen, dass es nicht geht, Mutter-Sein und Karriere gleichzeitig. Und schon gar nicht in der Politik mit ihren noch mal brutaleren Bedingungen.

„Aber Sie sind doch Mutter!“

Die Frauen, um die es in dieser Geschichte geht, wollen es anders machen. Sie gehören zu den Frauen, die für die Politik nicht auf Kinder verzichten wollen. Sie wollen auch nicht warten, bis die Kinder groß sind, ehe sie für ein Amt kandidieren. Sie wollen traditionelle Rollenbilder aufbrechen. Sie wollen die Ideale, für die sie politisch kämpfen – Selbstbestimmung, Emanzipation – auch privat leben. Wollen zeigen, dass beides geht: eine gute Mutter und eine aktive Politikerin sein. Sie wollen aber auch nicht so tun, als ginge das alles mit links. Sie sind aus unterschiedlichen Parteien, in der FPD wie Maren Jasper-Winter oder bei den Grünen wie Antje Kapek. Sie alle stecken in denselben Kämpfen – gegen Parteistrukturen, Erwartungen, Vorurteile, mit sich selbst.

Es sind Kämpfe, die die meisten berufstätigen Mütter kennen. Aber Frauen in der Politik werden noch einmal anders betrachtet, Mütter anders als Väter. Als die Grüne Antje Kapek 2012 als Fraktionschefin kandidieren wollte, hielt ihr ein Journalist vor: „Aber Sie sind doch Mutter!“ Weil man das nicht macht. Als Silke Gebel, auch eine Grüne, im Januar 2013 auf einen freigewordenen Platz im Abgeordnetenhaus nachrücken sollte, wurde sie vorab gefragt, ob sie das Mandat annehmen wolle. Sie war damals hochschwanger. „Wir müssen zu einem Klima kommen, in dem Schwangerschaft nicht wie eine Krankheit behandelt wird“, sagt Gebel, die derzeit ihr drittes Kind erwartet. Sie zog ins Parlament ein, stieg auf, inzwischen leitet die 34-Jährige gemeinsam mit Antje Kapek die Fraktion.

Sie liebt ihr Kind – und ihren Job

Das Berliner Abgeordnetenhaus nennt sich Halbtags-Parlament, aber nur wenige schaffen es, neben Sitzungen, Ausschussarbeit und zahlreichen Terminen im Wahlkreis noch einen anderen Job auszufüllen. Maja Lasic, die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, hat eine steile Karriere hingelegt. Geboren in Mostar, kam sie mit 14 als Flüchtlingskind nach Bad Godesberg, machte Abitur, studierte Biochemie. Über die Arbeit als Lehrerin im Berliner Wedding kam sie zur SPD, gewann 2016 ihren Wahlkreis direkt. Da war ihr Sohn drei.

Sie liebt ihren Job, sie liebt ihr Kind, und manchmal scheint es ihr, als wären das zwei sich abstoßende Pole, die nicht zueinander passen wollen. Als direkt gewählte Abgeordnete ist es ihr wichtig, den Draht zur Basis im Wahlkreis zu halten, als Bildungsexpertin der Regierungsfraktion wird sie auf viele Veranstaltungen eingeladen. Wenn andere Feierabend machen, gemeinsam mit der Familie Abendbrot essen, später dem Kind eine Gutenachtgeschichte vorlesen, übergibt sie ihren Sohn an ihren Mann und geht wieder los.

Fast jeden Abend ist sie unterwegs, Diskussionsveranstaltungen, Gremien, Vernetzungstreffen. Das alles unter einen Hut zu bekommen, sei eine „ausufernde Belastung, die manchmal an die Grenze des Machbaren geht“, sagt sie. Jeder weitere Karriereschritt muss sorgfältig abgewogen werden, denn die Kräfte sind knapp. „Ich habe meinen Sohn nicht bekommen, um ihn nie zu sehen“, sagt sie.

Permanenter Druck

So oft es geht, versucht sie, die Nachmittage mit ihrem Sohn zu verbringen. Aber der Job ist immer präsent. Wenn sie mit ihrem Sohn Bauklötze stapelt, nimmt sie Presseanfragen an oder bereitet sich gedanklich auf die abendliche Veranstaltung vor. Maja Lasic will nicht jammern, das ist ihr wichtig, sie betont, dass alle berufstätigen Eltern die Zerrissenheit erleben. Sie habe Glück, sagt sie, dass ihr Mann, ein Bundesbeamter, verlässliche Arbeitszeiten hat. Aber nicht jede Beziehung halte den permanenten Druck aus. „Wir sind zum Glück schon seit zehn Jahren verheiratet“, sagt sie und lächelt.

Die langen Arbeitszeiten, die Abhängigkeit von der Partei, der Druck zur ständigen Verfügbarkeit – das hält viele junge Frauen davon ab, in die Politik zu gehen. Der Politikerinnen-Anteil ist im Bundestag mit 31 Prozent so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht. Im Berliner Parlament sieht es nicht viel besser aus: 32,5 Prozent der Abgeordneten sind weiblich. Die meisten Frauen schicken die Grünen ins Parlament: 15 weibliche und 12 männliche Parlamentarier. Die wenigsten sitzen bei der CDU, der FDP und AfD.

Maja Lasic macht sich viele Gedanken, wie man Politik frauen- und familienfreundlicher gestalten kann. Sie hat sich dafür eingesetzt, dass ihr Verband in Mitte die Kosten für Babysitter zu Hause übernimmt. Damit Eltern trotz junger Kinder weiterhin kommen.

Sie leben ihre Ideale

Es fängt mit 30 an, hat Maja Lasic beobachtet, dann verschwinden die Frauen aus den Parteien. Sie kommen seltener zu Parteiveranstaltungen, irgendwann sind sie ganz weg. Es ist wohl kein Zufall, dass das in die Zeit fällt, in der Frauen ihr erstes Kind bekommen. Viele Frauen haben auf ein hektisches Leben, wie es Maja Lasic führt, keine Lust.

Aber muss man wirklich abends ewig in Kneipen zusammenhocken? Kann man nicht auch mal eine Telefonkonferenz machen? Maja Lasic ist skeptisch: „Telefonkonferenzen werden schon eingesetzt, auch Onlinetools. Aber nichts ersetzt den persönlichen Kontakt. Der persönliche Kontakt organisiert die Mehrheit.“

Sie versuchen alle, das gleichberechtigte Leben zu leben, das sie auch politisch fordern. Maren Jasper-Winter, Maja Lasic und Antje Kapek kämpfen gegen traditionelle Rollenbilder, für die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere. Vielleicht steht man als Frau noch stärker unter dem Druck, allen zu zeigen, dass es geht, dass man keine Abstriche machen muss.

Extrem erschöpft

Antje Kapek weiß inzwischen, dass sie sich in der Zeit nach der Geburt ihres zweiten Kindes 2013 überfordert hat. „Ich habe diesen Druck gespürt, rund um die Uhr ansprechbar zu sein“, sagt sie. Sie sitzt in einem Café, vor sich eine Suppe, einen Tee und das Handy, dessen Bildschirm sie während des Gesprächs umdreht, damit es nicht stört.

Es ist ihr wichtig, darüber zu reden. Sie will nicht, dass alle denken, es liefe immer so wie bei Ursula von der Leyen. Sieben Kinder, Karriere und dazu dauerhaft lächeln. „Frauen brauchen nach der Geburt eine Zeit der psychischen und physischen Regeneration. Ich habe darauf verzichtet, und ich zahle den Preis bis heute“, sagt sie. Sie hat zu wenig auf sich geachtet, nahm stark zu, wurde krank, schließlich diagnostizierte eine Ärztin extreme Erschöpfung.

Sie hatte geglaubt, dass alles eine Frage der Organisation sei. Noch im Kreißsaal habe sie ein Interview geführt. Fünf Wochen nach der Geburt ihrer Tochter moderierte sie schon wieder die Sommerklausur ihrer Fraktion. Es war eine schwierige Zeit damals, in der Fraktion tobte ein Richtungsstreit, alle hatten andere Probleme. Wenn sie über Müdigkeit klagte, dann hieß es, du wolltest es doch so. Sie machte weiter.

Ruhepausen sind wichtig

Bei einem Fernsehinterview zum Volksbegehren Energie hatte sie plötzlich Aussetzer, stotterte, Wörter fielen ihr nicht ein. Es war die Zeit, in der ihre neun Monate alte Tochter nachts jede Stunde aufwachte. „Du hättest dich mal besser vorbereiten sollen“, sagte ihre Pressesprecherin später im Aufzug. „Das hat mich getroffen, aber ich habe mich auch gefragt, ob sie recht hatte“, sagt Kapek heute.

Sie schottete sich ab, versuchte nur noch zu funktionieren. Irgendwann fiel sie, hatte eine Gehirnerschütterung. Die Ärztin schrieb sie krank. Es war für Kapek wie ein Weckruf, sie änderte ihr Leben, begann mit autogenem Training, fing an, mehr auf sich zu achten, mehr Ruhepausen einzulegen. Sie versuchte, Grenzen zu ziehen. Sie macht selten Abendtermine, sonntags gehört ihre Zeit der Familie. Sie betont, dass das Klima in der Fraktion familienfreundlicher geworden ist. Der neue Pressesprecher hat auch ein kleines Kind. Mit ihrer Kollegin Silke Gebel funktionierten die Absprachen gut.

Als ihr Kollege Benedikt Lux, der innenpolitische Sprecher, kürzlich Vater von Zwillingen wurde, sagte sie ihm: „Ich erwarte, dass du dich um die Familie kümmerst und etwas weniger arbeitest.“ Das strenge Verbot der Elternzeit, wie es das Bundesverfassungsgericht für Abgeordnete vorsah, wird aufgeweicht. Der linke Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg, rechtspolitischer Sprecher, hängte ein Schild an die Tür seines Wahlkreisbüros: „Wegen Elternzeit verkürzte Öffnungszeiten.“ Seine Elternzeit sah so aus, dass er zwei Monate lang nur den Rechtsausschuss und das Plenum besuchte.

Sie ist ja nicht verschwunden

Am 6. März ist der Sohn von Maren Jasper-Winter geboren. Auf Facebook schreibt sie: „Am Samstag ist unser Sohn Mats Leonard gesund zur Welt gekommen. Mein Mann und ich sind unglaublich glücklich und erleichtert.“

Sie wird bis zur Sommerpause keine Ausschuss- und Plenumssitzungen besuchen, die Fraktion schickt in die Ausschüsse einen anderen Kollegen. Es gab in den vergangenen Jahren immer mal wieder Frauen, die ihre Neugeborenen mit ins Plenum genommen haben und auch dort gestillt haben. Frauke Petry stillte kürzlich sogar während eines Interviews. Maren Jasper-Winter kann sich das nicht vorstellen. Nach der Sommerpause übernimmt ihr Mann das Baby, er macht fünf Monate Elternzeit.

Eine gesetzliche Elternzeit für Parlamentarier, wie das die Grünen in Baden-Württemberg durchgesetzt haben, kann sie sich nicht vorstellen. „Man hat als Abgeordnete schon recht viele Freiheiten, da man nicht angestellt ist.“

Und sie ist ja nicht verschwunden. Sie postet auf Facebook, dass sie schon seit vielen Tagen auf die Geburtsurkunde wartet, kritisiert die Berliner Verwaltung, quasi auch Oppositionsarbeit, hält Kontakt zu ihren Mitarbeitern, führt Gespräche im Wahlkreis, wenn notwendig. Auch Journalisten-Anfragen arbeitet sie ab. Sie sitzt an einem Antrag, den sie auf dem Bundesparteitag Mitte Mai einreichen will. Sie wirbt für einen gesetzlich garantierten Vaterschaftsurlaub von zehn Tagen nach der Geburt. Es geht ihr auch um eine Modernisierung der Elternzeit. Sie setzt sich dafür ein, dass Männer nicht nur die üblichen zwei, sondern künftig mindestens drei Vätermonate nehmen.

Sie kämpft für eine Elternzeit, die ihr als aktive Politikerin selber nicht zusteht.

– Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/30049688 ©2018