Presseschau: Kammergericht nach Trojaner-Angriff weiter im Krisenmodus

Über einen Monat ist es her, dass ein Mitarbeiter am Kammergericht den Anhang einer E-Mail öffnete – und damit einem Trojaner Tür und Tor öffnete. Noch immer herrscht ein Notbetrieb. Im Rechtsausschuss wurde nun über mögliche Folgen beraten. Von Christoph Reinhardt

Über zwei Stunden lang bemühen sich der Justizsenator, seine Staatssekretärin und allen voran der Präsident des unabhängigen Kammergerichtes, Bernd Pickel, um Aufklärung im Rechtsausschuss: Dass man die E-Mail, über die der Virus wohl seinen Weg ins Kammergericht nahm, immer noch nicht gefunden habe; warum der sauber installierte Virenscanner nicht anschlug und warum nicht die IT-Abteilung des Gerichtes, sondern erst der IT-Landesbetrieb ITDZ den Angriff überhaupt bemerkte.

Vor allem aber macht Pickel eines deutlich: „Das überfordert uns zunehmend, einfach von der Größe her. Wir sind eben ein Gericht und kein IT-Dienstleistungszentrum.“

Großes Lob für den IT-Landesbetrieb

Lektion eins aus dem Debakel: Beim Wiederaufbau will das Gericht nun doch beim ITDZ unterschlüpfen und nur noch ganz wenige Spezialanwendungen selbst betreuen. Der früher vielgescholtene Landesbetrieb habe hervorragende Arbeit geleistet, nicht nur beim schnellen Aufdecken des Angriffs, sondern auch der bei Einrichtung des Notbetriebs.

„Wenn das ITDZ nicht gewesen wäre und die nicht so eine hervorragende Arbeit gemacht hätten, würden wir heute wohl über ein anderes Thema reden. Nicht über einen Vorfall beim Kammergericht, sondern möglicherweise einen Vorfall, der das gesamte Landesnetz betrifft“, sagte SPD-Rechtsexperte Sven Kohlmeier.

„Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es witzig“

Man sei mit zwei blauen Augen davongekommen, formuliert es der Datenschutzexperte Sebastian Schlüsselburg (Linke). Zumal offenbar keine sensiblen Daten abgeflossen seien, so Justizsenator Dirk Behrendt (Bündnis90/Die Grünen).

Trojaner beruhten ja darauf, Daten abzuschöpfen und dann irgendwann mit einer Lösegeldforderug zu kommen. „Aber nichts dergleichen konnten wir feststellen“, sagte Behrendt. Daher gehe man nicht davon aus, dass es sich um einen gezielten Angriff auf die IT-Struktur des Kammergerichtes gehandelt habe. „Oder aber es lag daran, dass wir so rechtzeitig reagiert haben, das zu verhindern“, vermutet Behrendt.

Die Opposition kritisierte vor allem die Informationspolitik des Senators. Allein der Notbetrieb des Gerichts ohne E-Mail, Datenbanken und Laserdrucker sei ein erheblicher Schaden für Berlin, sagte der Anwalt und CDU-Rechtsexperte Sven Rissmann. Anwälte würden nun vom Kammergericht „handschriftlich geschriebene Ladungen“ und „fotokopierte Beschlüsse“ bekommen, die ihn an seine Schulzeit in den 80er-Jahren erinnern würden. „Wenn das nicht so traurig wäre, wäre es eigentlich witzig“, spottete Rissmann.

Inzwischen 60 neue Arbeitsplätze eingerichtet

Das Gericht will die Krise als Chance nutzen. Unter dem Schutzschirm des ITDZ wolle man nicht das alte System wieder aufbauen, sondern die seit vielen Jahren geplante Modernisierung vorziehen, sagte der Präsident. Richter sollen professionell gewartete Laptops bekommen, mit denen sie sich von überall ins Landesnetz arbeiten können – so, dass das freihändige Hantieren mit USB-Sticks und Privatcomputern im Homeoffice nie wieder notwendig sei.

Am Geld werde die Modernisierung jedenfalls nicht scheitern, sagte der Justizsenator, es stünden erhebliche Mittel für die Digitalisierung der Gerichte zur Verfügung. Der Aufbau könne dennoch nur schrittweise erfolgen. Man habe zwar seit dieser Woche insgesamt 60 neue Arbeitsplätze einrichten können. Dies sei aber nur ein Achtel des Bedarfs.
Beitrag von Christoph Reinhardt

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