Berlin –
Arm, aber sexy? Für immer mehr Berliner ist dieser Slogan längst passé. Denn die Zahl der Reichen in der Hauptstadt steigt – in den vergangenen drei Jahren um 53 Prozent. 749 Einkommensmillionäre dokumentierte die Finanzverwaltung zum Stichtag 1. Januar 2019. Bei der letzten Erhebung im Jahr 2016 waren es noch 489. Das geht aus der Antwort der Verwaltung auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg hervor.
Offen bleibt, ob die neuen Millionäre zugezogen oder in Berlin reich geworden sind.
Klar aber ist: Sie suchen ihren Wohnsitz in den klassischen Villengegenden – und immer häufiger auch in einem Bezirk, der eigentlich eine Hochburg der linken und alternativen Szene ist: Friedrichshain-Kreuzberg. In drei Jahren ist die Zahl der Einkommensmillionäre dort von elf auf 51 gestiegen – ein Anstieg von 364 Prozent und der höchste Aufwuchs in Berlin. In absoluten Zahlen schafft es Friedrichshain-Kreuzberg so von den bisher letzten Rängen auf Platz 5 der beliebtesten Berliner Bezirke unter Reichen.
Die vorderen Plätze belegen dieselben Stadtteile wie bereits 2016. Und auch bei ihnen ist die Zahl der Reichen zum Teil stark angestiegen: Auf Platz 1 kommt Zehlendorf mit 174 Einkommensmillionären (ein Plus von 53 Prozent), gefolgt von Wilmersdorf mit 106 (plus 33 Prozent), Charlottenburg mit 103 (plus 63 Prozent) und Mitte mit 75 Einkommensmillionären (plus 27 Prozent).
Als Einkommensmillionär gilt, wer „bedeutende Einkünfte“ aus nichtselbstständiger Tätigkeit, Kapitalvermögen, Vermietung oder Verpachtung hat, die im Laufe eines Kalenderjahres 500.000 Euro übersteigen. Die Definition stammt noch aus D-Mark-Zeiten und wurde trotz der Euro-Einführung beibehalten.
Millionäre müssen öfter vom Finanzamt geprüft werden
Man kann in Berlin also gut Geld verdienen – und muss zugleich wenig Sorgen haben, dass das Finanzamt an die Tür klopft. Denn obwohl die Zahl der Reichen in der Stadt stark gestiegen ist, sank die Zahl der bei ihnen durchgeführten Steuerprüfungen zuletzt: Wurden 2017 bei 67 Außenprüfungen zumindest 14 Prozent der Einkommensmillionäre geprüft, führten die Finanzämter 2018 insgesamt nur noch 51 Außenprüfungen durch – und kontrollierten damit nur zehn Prozent der Menschen an der Einkommensspitze.
Wurden in Friedrichshain-Kreuzberg 2017 noch vier Außenprüfungen vorgenommen, gab es 2018 keine einzige im Bezirk. Den Linken ist das zu wenig. „Zwar steht Berlin mit einer Prüfquote von zehn Prozent besser da als andere Bundesländer“, sagt Sebastian Schlüsselburg, rechtspolitischer Sprecher der Linken, dem KURIER. „Dennoch entgehen uns Jahr für Jahr mehrere Millionen Euro an Steuereinnahmen.“
Vor dem Hintergrund des Anstiegs bei den Einkommensmillionären plädiert Schlüsselburg dafür, die „Prüfquote wieder deutlich zu erhöhen“. Der jetzige Zustand bedeute eine erhebliche Ungerechtigkeit jenen gegenüber, denen die Steuer Monat für Monat „auf Heller und Pfennig“ direkt vom Lohn abgezogen würde.
Millionäre sollen alle drei Jahre lückenlos überprüft werden
Was sich der Fiskus durch Nicht-Prüfung der Einkommensmillionäre entgehen lässt, hat der Bundesrechnungshof errechnet: Er geht von durchschnittlichen Mehreinnahmen von 135.000 Euro aus – pro durchgeführter Prüfung.
Einen besonders krassen Erfolg verbuchten die Berliner Prüfer 2018 im Prenzlauer Berg: Bei nur elf Prüfungen in dem Pankower Stadtteil konnten sie Nachforderungen von insgesamt 21,4 Millionen Euro eintreiben.
Warum sich der Fiskus die Gelder entgehen lässt? „Weil bundesweit das Personal fehlt“, sagt Dieter Ondracek von der Deutschen Steuergewerkschaft, der Interessenvertretung für das Personal der Steuerverwaltungen, dem KURIER. Dennoch plädiert auch die Deutsche Steuergewerkschaft ausdrücklich für eine regelmäßige Prüfung der Einkommensmillionäre – aus „Gründen der Steuergerechtigkeit“.
Berlin will das Problem bundesweit angehen. Linke, SPD und Grüne haben einen Antrag auf Start einer Bundesratsinitiative gestellt, der gleich nach den Sommerferien im Abgeordnetenhaus entschieden werden soll. Das Ziel: eine Änderung der Abgabenordnung und eine lückenlose Überprüfung der Einkommensmillionäre alle drei Jahre.