Presseschau: Fernduell der Juniorpartner

Sa 02.04.22 | 08:43 Uhr | Von S. Schöbel und A. Ulrich

Während die Berliner Grünen durch den Krieg in der Ukraine mit ihren Themen an den Rand gedrängt werden, droht den Linken in der Enteignungsfrage Gegenwind ausgerechnet von den Aktivisten, mit denen sie sich verbündet haben. Von S. Schöbel und A. Ulrich

Ein politischer Auftritt ohne Franziska Giffey an ihrer Seite: Klaus Lederer und Bettina Jarasch könnten sich auf ihren Parteitagen an diesem Wochenende fast ein wenig einsam fühlen. Weder beim Zusammentreffen der Grünen im Westhafen noch bei dem der Linken im Estrel Hotel wird die Regierende Bürgermeisterin von der SPD dabei sein.

Dass Giffey ihren Senat so eng führt, wie viele erwartet (und manche befürchtet) haben, scheint sich aber nicht auf die Stimmung ihrer Koalitionspartner auszuwirken – jedenfalls nicht öffentlich. Man habe in der letzten gemeinsamen Regierung gelernt, „wie es eben nicht gut geht“, sagt Bettina Jarasch – und muss selbst kurz lachen.

Klaus Lederer lobt beinahe euphorisch die gute Zusammenarbeit. Das habe die letzte Koalition von SPD, Linken und Grünen erst nach drei Jahren Regierung und dem Beginn der Corona-Krise gelernt. „Vielleicht hätte uns am Anfang der Legislatur eine Krise ganz gutgetan, um zueinander zu kommen“, sagt er.

Rot-grün-rote Einigkeit

Dass der Krisenmodus zum Berliner Alltagsgeschäft geworden ist, hat die ersten 100 Tage von rot-grün-rot geprägt. Entsprechend sehen auch die Tagesordnungen der beiden Parteitage von Grünen und Linken aus: Der Krieg in der Ukraine und die Corona-Krise sind tonangebend – und in beiden Punkten gibt es derzeit wenige Differenzen zwischen den drei Partnern. Das vom Bund eingeläutete Ende der Corona-Eindämmungsmaßnahmen sehen SPD, Grüne und Linke ähnlich kritisch, und auch bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise richten sich kritische Töne fast ausschließlich Richtung Bundesregierung.

Dennoch versuchen beide Parteien, an diesem Wochenende eigene Schwerpunkte zu setzen. So sollte sich bei den Grünen am Samstag alles um die Gesundheit drehen. Denn Gesundheit, sagt der Co-Vorsitzender Philmon Ghirmai, habe auch mit Klimaschutz zu tun. „Wir brauchen ein gutes Konzept, wie man Klimaschutz auch zum Gesundheitsschutz machen kann“, so Ghirmai. Das ist dann auch Thema des Grünen-Leitantrags für den Parteitag – mit Forderungen zu weniger Luft- und Lärmbelastung, mehr Bio im Schulessen und dazu, den Öffentlichen Gesundheitsdienst zu stärken.

Grüne: Ukrainekrise für Klimadebatte nutzen

Doch nun kommt der russische Angriffskrieg in der Ukraine dazu. Neben dem Flüchtlingsleid, das Berlin vor besondere Herausforderungen stellt, geht es den Grünen auch um die Energiepolitik. Per Dringlichkeitsantrag fordern sie, die Hauptstadt angesichts drohender Gas-Knappheit unabhängiger vom Lieferanten Russland zu machen.

Energiesparen, ohnehin ein Herzensthema der Grünen, bekommt da eine ganz neue Dringlichkeit. Dafür präsentieren sie unter anderem einen „10-Punkte-Katalog“ zur „Wärmewende“, um „mehr Erneuerbare in die Heizungskeller zu bringen“, wie es heißt.

Öl- und Gasheizungen sollen aus- und dafür Wärmepumpen eingebaut werden. Geothermie, also Wärme aus dem Boden, soll stärker genutzt und dazu vorher besser erkundet werden, heißt es weiter. Außerdem müsse das Sanierungsprogramm für Gebäude gestärkt werden, mit verpflichtenden Energiesparchecks für öffentliche Gebäude. Neu sind all diese Vorschläge freilich nicht, genauso wenig wie die Solar-Dach-Offensive, die schon im Koalitionsvertrag steht, und um deren Zuschüsse gerade verhandelt wird.

Grüne fordern „autofreien Sonntag“

Mit einer Idee allerdings sorgen die Grünen für Neues – und auch für neuen Streit in der Koalition. Um sich energieunabhängiger zu machen, holen sie einen Vorschlag aus den Ölkrisen-Zeiten den 1970er Jahren wieder hervor: den autofreien Sonntag. „Das ist kein Witz, sondern ein sehr ernstgemeinter Vorschlag“, sagt Co-Vorsitzende Susanne Mertens. Sie erinnere sich noch sehr gut daran, wie sie es als Kind genossen habe, auf den leeren Straßen Fahrrad zu fahren, sagt sie.

Doch es gehe nicht nur um Nostalgie: Mit dem Verzicht aufs Auto am Sonntag ließe sich mehr Energie einsparen als viele denken, betont Mertens: „Wenn wir jetzt beispielsweise zwei autofreie Sonntage im Monat hätten, wären das aufs Jahr umgerechnet 1,3 Millionen Tonnen Kraftstoff, das sind 1,4 Prozent der deutschen Mineralöl-Importe.“ Bei den Koalitionspartnern SPD und Linke drangen die Grünen damit allerdings nicht durch: Für den autofreien Sonntag gab es umgehend eine Abfuhr.

A100: Linke fordern mehr Druck auf den Bund

Ähnlich dürfte es den Linken mit ihrem Vorstoß zur A100 gehen. Sie wollen bei ihrem Parteitag einen Gang vors Bundesverfassungsgericht beschließen: Mit einer Normenkontrollklage solle Berlin verhindern, dass das FDP-geführte Bundesverkehrsministerium den 17. Bauabschnitt von Treptow nach Lichtenberg beginnt.

Dass die Ausschreibung der Planung nun ohne vorherige Absprache mit dem Senat angekündigt wurde, nannte Bettina Jarasch in ihrer Rolle als Verkehrssenatorin zwar „irritierend“ und einen „seltsamen Stil“. Doch die von den Linken geforderte Normenkontrollklage lehnt Jarasch bisher ab. Man prüfe aber „alle Hebel“, die Berlin in dieser Sache in Bewegung setzen kann. Welche das noch sein können, zählen die Linken gleich mit auf: die Planfeststellungsbehörde für den Autobahnabschnitt nach Berlin zurückholen, zum Beispiel. Das aber müsse sofort geschehen, warnt der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Sebastian Schlüsselburg, sonst komme Berlin möglicherweise zu spät, um den Bau noch zu verhindern.

Zankapfel Enteignungs-Kommission

Viel mehr als die ungeliebte Autobahn beschäftigt die Linken bei ihrem Parteitag allerdings die ebenfalls ungeliebte Immobilienwirtschaft. Im Leitantrag für den Parteitag stellt man sich zwar erneut klar hinter die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Doch die Enteignungsaktivisten bereiten den Linken gerade gehörige Kopfschmerzen: Weil sie offen damit drohen, die Expertenkommission zum Volksentscheid zu boykottieren.

Man könne sich nicht darauf verlassen, so eine Sprecherin der Initiative im rbb-Interview, dass das Gremium voll hinter der Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen steht. Den Punkt wird die Initiative bei einem Gastbeitrag auf dem Parteitag wohl noch einmal unterstreichen.

Ärger im Enteignungslager

Zwar würden Teile der Linkspartei diese Fundamentalopposition durchaus unterstützen. Die Mehrheit aber hofft, über die Expertenkommission am Ende einen rechtssicheren Gesetzesentwurf – oder zumindest ein Grundgerüst dafür – zu haben. Weswegen Landeschefin Katina Schubert die Enteignungsaktivisten unter der Woche davor warnte, den Bogen zu überspannen: Sie erwarte, so Schubert, dass die Aktivisten die ihnen zugestandenen drei Plätze in der Kommission besetzen und konstruktiv mitarbeiten.

Denn für ein historisch einmaliges Vergesellschaftungsgesetz habe man nur „einen Schuss frei“, fügt Klaus Lederer hinzu. Nur wenn der sitzt und das Gesetz vor Gericht Bestand hat, sei sicher, dass auch in Zukunft noch die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner hinter der Vergesellschaftung steht, so wie zuletzt bei der Abstimmung im September. „Sonst fliegt es uns um die Ohren.“

Krisenmanagement verschiebt Machtbalance

So schwierig die politische Gratwanderung in der Enteignungsdebatte für die Linke ist, so entspannt kann sie derweil auf ihre aktuelle Rolle in der Koalition schauen: Durch den Krieg in der Ukraine ist sie mit Sozialsenatorin Katja Kipping ganz vorne dabei im Krisenmanagement – und die Linke damit deutlich präsenter als die eigentliche Nummer zwei im Dreierbündnis, die Grünen.

Wohl auch deswegen hat Lederer einen Teil seiner Redezeit beim Parteitag an Kipping abgetreten: Die 44-Jährige hat sich über die Parteigrenzen hinweg Respekt erarbeitet, selbst bei der Opposition – wenn auch hinter vorgehaltener Hand. Kippings Zusammenarbeit mit der selbstbewussten Senats-Chefin Giffey funktioniert derweil ziemlich geräuschlos.

Den Grünen fällt es unterdessen schwer, mit ihren Themen zu punkten: Flüchtlinge aus der Ukraine drängen die Mobilitätswende und den Klimawandel in den Hintergrund, während Gesundheitssenatorin Ulrike Gote weitgehend hilflos den vom Bund eingeleiteten Abschied von allen Corona-Maßnahmen hinnehmen muss – den Infektionszahlen und allen Mahnungen der Senatorin zum Trotz. Für die Grünen geht es damit bei diesem Parteitag auch darum, sich wieder mehr ins Gespräch zu bringen. Damit sich rot-grün-rot nicht wie rot-rot-grün anfühlt.

Sendung: rbb24 Inforadio, 2. April 2022, 7 Uhr

Quelle: https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/04/landesparteitag-linke-gruene-berlin-jarasch-lederer.html