von Martin Klesmann
Eine aktuelle Zusammenstellung von Bevölkerungsdaten zeigt, wie in Berlin Einkommen, Armutsrisiko und Bildungsstand verteilt sind. Und wie sich die Dinge in den vergangenen 14 Jahren verändert haben.
Armutsrisiko in Pankow seit 2005 halbiert
Ein Befund sticht dabei heraus: Obwohl die Berliner Wirtschaft seit fast zehn Jahren wächst und die Arbeitslosigkeit sinkt, ist das Armutsrisiko für Berliner Bürger sogar leicht gestiegen. 17,4 Prozent der Berliner sind laut Mikrozensus 2017 armutsgefährdet, vor zehn Jahren waren es noch gut drei Prozent weniger. Das teilte die Senatsverwaltung für Arbeit nun auf Anfrage des Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg (Linke) hin mit. Für Schlüsselburg ist klar: „Ein wesentlicher Grund dafür ist der Mietenwahnsinn in dieser Stadt.“ Es seien Berlinerinnen und Berliner, die hier seit Jahren faktisch trotz Lohnsteigerungen hinaus enteignet würden.
Tatsächlich fallen aber auch die größer werdenden Unterschiede innerhalb Berlins auf. Zum Beispiel können wir anhand der Daten sehen, dass sich das Risiko für Pankower Bürger, arm zu werden, seit 2005 halbiert hat. Die Armutsquote fiel im Landesmaßstab von seinerzeit 13 Prozent auf 6,8 Prozent. Das ist übrigens der niedrigste Wert in Berlin. Auch in Friedrichshain-Kreuzberg sank sie deutlich, während sie in Spandau am stärksten anstieg (von 15,7 auf 24,1 Prozent). Letzteres hängt laut Stadtsoziologen auch damit zusammen, dass viele ärmere Berliner inzwischen wegen der noch günstigen Mieten in Spandauer Großsiedlungen gezogen sind.
Auch Bildungsarmuts-Quote ist gesunken
Es geht um Verdrängung. Als armutsgefährdet gilt, wer mit 60 Prozent des mittleren Durchschnittseinkommens auskommen muss. In Spandau ist es nun bereits jeder Vierte. „Wir müssen verhindern, dass die Stadt zwischen Zentrum und Peripherie weiter auseinanderdriftet“, sagt Schlüsselburg. Das klingt schon so, als würde sich Berlin wie Paris entwickeln, wo viele Arme längst außerhalb des Autobahnrings wohnen.
Interessant ist auch der Blick auf die Bildungsarmuts-Quote. Sie markiert den Anteil der Über-25-Jährigen, die nach der Internationalen Standardklassifikation weder Berufsabschluss noch Hochschulreife haben. Diese Quote ist erwartungsgemäß im bürgerlichen Pankow (6,1 Prozent) besonders niedrig und auch in Treptow-Köpenick (9,4 Prozent). Schon an dritter und vierter Stelle folgen Lichtenberg (10,4 Prozent) und Marzahn-Hellersdorf (11,4 Prozent). Der Berliner Osten hat also hier deutlich bessere Werte als die westlichen Bezirke.
Das hängt wohl auch damit zusammen, dass zu DDR-Zeiten nahezu jeder Bürger einen Beruf erlernen musste, und diese Bildungsaspiration an die nachfolgende Generation weitergeben wurde, heißt es unter Experten. Selbst das wohlhabende Steglitz-Zehlendorf liegt mit 11,5 Prozent erst an fünfter Stelle. Der Wert ist in den vergangenen 14 Jahren in fast allen Bezirken leicht gesunken, was einem bildungspolitischen Erfolg nahe legt. „Es zeigt, welch guten Job unsere Schulen unter schwierigen Bedingungen machen“, sagte Schlüsselburg. Die Studien- und Ausbildungsreife habe sich trotz allen Unkenrufen aus der Wirtschaft offenbar verbessert und nicht verschlechtert. Im Gentrifizierungs-Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat sich der Wert sogar halbiert. Sicherlich hat aber auch der Zuzug gut qualifizierter Personen von außerhalb nach Berlin eine Rolle gespielt.
Reich sind in Berlin laut Mikrozensus nur drei Bezirke
Immerhin dürfte sich der Trend zu mehr regulärer Berufsausbildung fortsetzen: „Wir haben demografisch begründet weniger Jugendliche, die dem Ausbildungsmarkt zur Verfügung stehen“, sagte Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. „Das heißt: Diese finden leichter eine Lehrstelle, zumal immer mehr junge Leute in die Hochschulen drängen.“ Noch immer aber bieten Berliner Firmen und die Verwaltung im Bundesländervergleich relativ wenige Lehrstellen an, auch wenn die Anzahl zuletzt etwas zugenommen habe. Allerdings bedeutet eine geringe Bildungsarmut im Bezirk keineswegs, dass die Bürger dieses Bezirks besonders wohlhabend wären.
Als reich gilt laut Mikrozensus, wer 2017 mehr als 200 Prozent des Äquivalenzeinkommens der Bevölkerung erhielt, mindestens also 3 225 Euro zusätzlich. Hier liegen lediglich drei Berliner Bezirke im zweistelligen Bereich: Steglitz-Zehlendorf (16,2 Prozent), Charlottenburg-Wilmersdorf (16,1 Prozent) und Pankow (11,8 Prozent). Der Berliner Durchschnitt beträgt 9,1 Prozent, den niedrigsten Wert haben hier Lichtenberg (3,8 Prozent) und Neukölln (3,5 Prozent).
Berlinern geht es besser – Mieten zehren jedoch an den Einkünften
Erfreulich ist laut der Datensätze die Entwicklung beim Haushaltsnettoeinkommen. In allen Bezirken stieg die Anzahl der Haushalte, die über ein Nettoeinkommen von mehr als 3 200 Euro verfügen können. In Mitte etwa stieg dieser Anteil von 12,9 Prozent an der Gesamtbevölkerung im Jahr 2013 auf fast 20 Prozent im Jahr 2017, dem letzten verfügbaren Jahr. In Pankow stieg er sogar im gleichen Zeitraum von 18 auf 29 Prozent und in Steglitz-Zehlendorf, dem wohlhabendsten Bezirk, um gut 9 auf 33,7 Prozent. Den niedrigsten Wert weist hier Neukölln mit 15,7 Prozent aus, auch hier ein Anstieg von sechs Prozent. Zu beachten ist, dass es in Innenstadtbezirken mehr Ein-Personen-Haushalte gibt.
Am unteren Ende der Skala haben wir die Haushalte, die mit weniger als 900 Euro netto auskommen müssen. Auch deren Zahl ging deutlich zurück. Beeindruckend deutlich verringerte sich dieser Wert in Pankow: von 14 auf 4 Prozent innerhalb von fünf Jahren. Das belegt den gewaltigen Strukturwandel etwa in Prenzlauer Berg, Weißensee oder Alt-Pankow. In Mitte lebt immer noch 14 Prozent aller Haushalt von weniger als 900 Euro, in Gesundbrunnen oder Wedding ist die Quote deutlich höher. In Neukölln mit heute 12 Prozent und in Reinickendorf mit 7 Prozent haben sich diese Werte inzwischen halbiert.
Insgesamt also ist es den Berlinern in den vergangenen Jahren wirtschaftlich etwas bessergegangen. Allerdings zehren die oft drastisch gestiegenen Mieten die Mehreinkünfte auf. Wer wirtschaftlich nicht mithalten kann, läuft Gefahr verdrängt zu werden. Die Sozialdaten belegen auch, dass nicht etwa Marzahn-Hellersdorf oder Lichtenberg trotz der vielen Alleinerziehenden mit geringen Einkünften besondere Problemfälle sind. Vielmehr sieht es so aus, als sei Spandau auf dem Weg der neue Problembezirk zu werden.