
Sehr geehrter Herr Bosse,
mit der Bildung der Zählgemeinschaft durch die Parteien CDU, SPD und Bündnis90/Grüne zur Wahl des Bezirksbürgermeisters, Andreas Geisel hat auch eine veränderte politische Kultur in die Bezirksverordnetenversammlung Einzug gehalten. In den ersten Monaten seit Bestehen der Zählgemeinschaft musste meine Fraktion, DIE LINKE feststellen, dass eine an den politischen Inhalten orientierte Debatte in den Ausschüssen die Ausnahme geworden ist. Leider mussten wir auch feststellen, dass Dringlichkeitsanträge, die durch die Linksfraktion in die Bezirksverordnetenversammlung eingereicht wurden, mehrfach nur danach beurteilt wurden, ob sie in das politische Konzept von CDU, SPD und Bündnis90/Grüne passten. Wenn dies nicht der Fall war, wurde durch diese Parteien, ungeachtet des tatsächlichen Erfordernisses die Dringlichkeit verweigert.
Erfreulicherweise hatte sich in den letzten Wochen diese den politischen Problemen und Herausforderungen unangemessene Verhaltensweise in Teilen gewandelt. CDU, SPD und Grüne schienen zu einer sachlichen Auseinandersetzung zurückkehren zu wollen. Mit der gestrigen Sondersitzung des Hauptausschusses hat sich dieser Eindruck jedoch nicht bestätigt, im Gegenteil.
Die Linksfraktion beantragte eine Sondersitzung des Hauptausschusses für den 01.10.2012, weil wir die Debatte zu den Auswirkungen der von CDU und SPD im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses beschlossenen Personalkürzung für Lichtenberg im zuständigen Ausschuss fortführen wollten. Die Beantragung erfolgte nicht nur geschäftsordnungskonform, sie war auch inhaltlich berechtigt. Für Lichtenberg droht die Kürzung jeder fünften Personalstelle im Öffentlichen Dienst. Dies hat dramatische Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Öffentlichen Verwaltung. In der beantragten Ausschusssitzung wollte die Linksfraktion u.a. nach den Auswirkungen für die Bürgerinnen und Bürger Lichtenbergs, nach dem bisherigen Gesprächsergebnis mit der Senatsverwaltung für Finanzen, nach den Auswirkungen für die befristet Beschäftigten fragen. Ein entsprechender Fragenkatalog ging dem Bezirksbürgermeister rechtzeitig zu. Die Linksfraktion ist der festen Auffassung, dass diese Fragen beantwortbar gewesen wären. Wir haben ausdrücklich nicht nach den Ergebnissen der (laufenden) Verhandlungen mit der Senatsverwaltung für Finanzen gefragt, wie vom Bürgermeister, Andreas Geisel behauptet. Unser Verständnis von Politik gebietet es nicht nur fertige Ergebnisse zur Kenntnisse zu nehmen, sondern auf den Prozess Einfluss zu nehmen.
Am 01.10.2012 um 19 Uhr waren CDU, SPD und Bündnis90/Grüne mit insgesamt sieben Verordneten zum Hauptausschuss anwesend. Offenkundig bestand nunmehr nicht das Problem einer Terminkollision. Zur Eröffnung der Sitzung beantragte ein Vertreter dieser Parteien den Tagesordnungspunkt zum Personalabbau zu verschieben. Da dies der einzige inhaltliche Tagesordnungspunkt war, kam dies einer Aufhebung der gesamten Sitzung gleich. Nach kurzer Debatte, die auf Antrag des Fraktionsvorsitzenden von Bündnis90/Grüne, Michael Heinisch ebenfalls vorzeitig abgebrochen wurde, stimmten die Verordneten von CDU, SPD und Bündnis90/Grüne gegen die Stimmen von LINKE und Piraten für eine Vertagung des Tagesordnungspunktes und damit für eine Ende der Sitzung.
Ich will an dieser Stelle nicht den inhaltlichen Standpunkt der Linksfraktion zum Personalabbau und die politische Bedeutung für die Bürgerinnen und Bürger Lichtenbergs ausführen. Im Namen meiner Fraktion will ich ausschließlich auf den formalen Vorgang hinweisen. Die faktische Absetzung einer Sitzung gegen das Votum derer, die die Sitzung beantragt haben, ist ein für Lichtenberg einmaliger Vorgang. Hier wurden durch CDU, SPD und Bündnis90/Grüne Minderheitenrechte von Verordneten mit Füßen getreten. Anstatt die inhaltliche Auseinandersetzung zu pflegen, werden andere Auffassungen verleugnet. Diese Ausgrenzungspolitik durch CDU, SPD und Bündnis90/Grüne kann meine Fraktion nicht ignorieren. Dabei ist es völlig zweitrangig, dass hier DIE LINKE und die Piraten das Opfer waren. CDU, SPD und Bündnis90/Grüne haben grundlegende Prinzipien der Demokratie ihrer eigenen Machtpolitik geopfert.
Es war DIE LINKE, die im Zusammenhang mit dem Einzug von Bündnis90/Grüne in die BVV die Geschäftsordnung dergestalt geändert hat, dass auch eine Minderheit von Ausschussmitgliedern eine Sondersitzung des Ausschusses beantragen kann. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet jene, die wir damals haben schützen wollen, der LINKEN heute diese Rechte verweigern.
Die Linksfraktion ist der Auffassung, dass das Verhalten der Verordneten von CDU, SPD und Bündnis90/Grüne nicht geschäftsordnungskonform war. Mit § 18 (1) der Geschäftsordnung hat sich die BVV ein Mittel gegeben, welches einem Fünftel der Ausschussmitglieder die Beantragung einer Sondersitzung erlaubt. Dieses Minderheitenrecht kann nicht dadurch ad absurdum geführt werden, indem eine Ausschussmehrheit die Ausschusssitzung faktisch für beendet erklärt. In der Konsequenz hieße dies, dass eine Ausschussmehrheit immer die Möglichkeit hätte, ihr inhaltlich unliebsame Themen von der Tagesordnung zu nehmen. Ein solches Verhalten greift tief in den parlamentarischen Minderheitenschutz ein und ist nicht im Sinne unseres demokratischen Gemeinwesens.
Vor diesem Hintergrund muss ich den oben beschriebenen Beschluss des Hauptausschusses nachträglich anfechten und Sie um eine rechtliche Prüfung durch das bezirkliche Rechtsamt ersuchen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Entscheidung des Ausschusses muss ich auch um eine Rechtsprüfung durch die Bezirksaufsicht ersuchen.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Petermann
Fraktionsvorsitzender der LINKEN Berlin-Lichtenberg