Mo 04.07.22 | 19:09 Uhr | Sebastian Schöbel
Die Zahlen sind drastisch: Seit Einführung des Neun-Euro-Tickets Anfang Juni sind zehn Mal weniger Menschen ohne Ticket im Berliner Nahverkehr erwischt worden als im Vorjahreszeitraum. Die Linke will das Angebot auch deswegen verlängern.
Die Zahl der Fahrgäste, die ohne Ticket im Berliner Nahverkehr erwischt wurden, ist seit Einführung des Neun-Euro-Tickets stark gesunken. Das geht aus einer noch unveröffentlichten parlamentarischen Anfrage der Linken hervor, die dem rbb exklusiv vorliegt.
Demnach hatten zwischen dem 1. und dem 24. Juni bei rund 300.000 Kontrollen in S-Bahnen etwas mehr als 2.100 Fahrgäste kein gültiges Ticket. Vor genau einem Jahr, im Juni 2021, lag die Zahl mehr als zehn Mal so hoch bei knapp 23.000. Ähnlich sieht es bei der BVG aus: Demnach wurden zwischen dem 1. und 26. Juni bei rund 442.000 Kontrollen rund 5.350 Menschen ohne Fahrschein erwischt. Im gleichen Zeitraum vor einem Jahr waren es gut 27.000. Im vergangenen Jahr zählten S-Bahn und BVG im Schnitt monatlich rund 50.000 Personen ohne Fahrschein.
Linke sieht „enormen sozialen Erfolg“
Das Neun-Euro-Ticket sei damit „auch ein enormer sozialer und rechtspolitischer Erfolg“, sagte der rechtspolitische Sprecher der Linken, Sebastian Schlüsselburg, der die Anfrage gestellt hatte. Nun müssten auch weniger Menschen ins Gefängnis, weil sie die fürs Fahren ohne Ticket verhängten Gebühren und Geldstrafen nicht bezahlen könnten. „Das Neun-Euro-Ticket muss fortgesetzt werden und das Erschleichen von Beförderungsleistungen aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden“, so Schlüsselburg.
Fahren ohne Ticket entkriminalisieren?
Die Linken fordern schon länger, dass Fahren ohne Ticket entkriminalisiert wird. Aus ihrer Sicht ist die Ersatzfreiheitsstrafe bei nicht bezahlten ÖPNV-Tickets nicht angemessen, trifft vor allem sozial benachteiligte Menschen und ist außerdem zu teuer. Laut Justizverwaltung kostete ein Häftling das Land Berlin im Jahr 2021 durchschnittlich 216 Euro am Tag. Die Länder Berlin und Bremen waren zuletzt allerdings auf Bundesebene mit dem Vorstoß gescheitert, das Fahren ohne Ticket zu entkriminalisieren.
Bund will Strafen fürs Fahren ohne Ticket überprüfen
Immerhin: Die Ampel-Koalition im Bund hat sich vorgenommen, die Sinnhaftigkeit von Ersatzfreiheitsstrafen zu überprüfen. Zuletzt hatte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) angekündigt, die Entkriminalisierung des Fahrens ohne Ticket zu erwägen.
Die Berliner S-Bahn hat 2021 11.319 Strafanzeigen wegen „Erschleichens von Leistungen“ – also Fahren ohne Ticket – gestellt; bei der BVG waren es 3.235 – wobei die BVG Strafanzeige erst stellt, wenn jemand innerhalb von zwei Jahren dreimal ohne gültigen Fahrausweis erwischt wurde.