Keine Parlamentsreform nach Kassenlage

Dass das Berliner Abgeordnetenhaus ein Teilzeitparlament ist, steht eigentlich nirgendwo geschrieben – weder in der Berliner Verfassung, noch im Abgeordnetengesetz. Lediglich aus Paragraph 2 des Abgeordnetengesetzes lässt sich dies implizit herauslesen. Tatsächlich ist der Status als Teilzeitparlament eher eine Tradition, die sich in der Höhe der Diäten sowie vor allem in der begrenzten Ausstattung der Abgeordneten und der Parlamentsverwaltung mit Personal- und Sachmitteln niederschlägt.

Faktisch ist das Berliner Abgeordnetenhaus schon lange ein Vollzeitparlament. Kaum ein*e Abgeordnete*r, die/der sein Mandat ernst nimmt, hat die Zeit, neben der parlamentarischen Arbeit noch einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Tatsächlich haben praktisch fast nur Freiberufler*innen arbeitsorganisatorisch dazu überhaupt die Möglichkeit. Hier reicht schon ein Blick in den Sitzungskalender des Abgeordnetenhauses, um deutlich zu machen, dass eine abhängige Tätigkeit neben dem Mandat praktisch unmöglich ist. Und im Sitzungskalender des Abgeordnetenhauses sind noch nicht alle Termine in Fachgruppen der Fraktionen, Gespräche mit zivilgesellschaftlichen Gruppen oder im Wahlkreis zu finden.

Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass der Präsident des Abgeordnetenhauses Ralf Wieland nun einen neuen Aufschlag gemacht hat, um die Fiktion des Teilzeitparlaments zu überwinden. Nicht zielführend ist es allerdings, dass er dies unter der Prämisse der Kostenneutralität tut, auch wenn dies dem Parlamentarismus-skeptischen Zeitgeist entsprechen mag. Eine ordentliche Parlamentsreform sollte am Anfang den Blick auf die Aufgaben richten, die das Parlament und die Abgeordneten zu bewältigen haben.

Zentrale Aufgabe des Parlaments ist es, Gesetze zu erlassen und die Regierung zu kontrollieren. Doch gegenüber dem geballten Verwaltungsapparat des Staates befinden sich Abgeordnete, sei es als einzelne*r Parlamentarier*in oder als Fraktion immer in der schwächeren Position. Hinzu kommt der in den vergangenen Jahren erheblich gestiegene Kommunikationsanspruch der Wähler*innen. In einer immer komplexer werdenden Welt muss eine immer komplizierter werdende Politik immer mehr erklärt werden. Darüber hinaus hat man als LINKER natürlich immer auch den Anspruch an sich selbst, Politik nicht einfach nur zu erklären, sondern Lösungen mit den Berlinerinnen und Berlinern zusammen zu entwickeln. Dies alles hat die Parlamentarier zunehmend in eine Position der strukturellen Überforderung gebracht. In Berlin verschärft sich diese noch dadurch, dass das Abgeordnetenhaus nicht nur die Aufgaben eines Landesparlaments, sondern an vielen Stellen auch die Aufgaben eines Kommunalparlaments erfüllt.

Im Zentrum der Diskussion sollte daher stehen, wie das Abgeordnetenhaus all diese Aufgaben bestmöglich bewältigen kann. Die Frage der Kosten darf dann erst an zweiter Stelle folgen. Demokratie darf keine Kostenfrage sein. Vor diesem Hintergrund sollten wir zunächst über Schritte diskutieren, die die Arbeitsfähigkeit des Parlaments verbessern. Aus meiner Sicht wären das die folgenden:

  • Stärkung der Parlamentsverwaltung; insb. ein Ausbau des wissenschaftlichen Parlamentsdienstes
  • Erhöhung der Personalmittel für die Abgeordneten auf die Höhe von 3 Vollzeitstellen (E 13 TV-L Berlin)
  • Keine Verschlechterung des Repräsentationsverhältnisses (Abgeordnete pro Einwohner)