Wenn Richter nicht verfassungstreu wirken: Breite Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus für die Richteranklage in Sicht

19.10.2022, 15:49 Uhr / Julius Betschka

In 13 Bundesländern kann das Bundesverfassungsgericht Richter versetzen, wenn deren Integrität bezweifelt wird. In Berlin will die Koalition dies mit CDU und FDP einführen. Doch es kann dauern.

Im Abgeordnetenhaus zeichnet sich eine breite Mehrheit für die Einführung einer Richteranklage ab. Auf dieser Grundlage könnte das Abgeordnetenhaus das Bundesverfassungsgericht anrufen, um die Versetzung eines Richters zu erreichen, wenn Zweifel an seiner Integrität, Unabhängigkeit oder Verfassungstreue bestehen. Die Debatte darum hatte im März wegen des Vorgehens der Justizverwaltung gegen die Richterin und ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkelmann begonnen. Ein Gericht urteilte vor einer Woche zu Gunsten der AfD-Politikerin.

Am Mittwoch signalisierten im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses die Fachpolitiker der Koalitionsparteien SPD, Grüne und Linke sowie die Vertreter der Oppositionsparteien CDU und FDP Sympathie für dieses Vorgehen. Die AfD steht dem kritisch gegenüber. Für das Einführen der Richteranklage ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament notwendig, weil dafür die Verfassung geändert werden müsste.

Der CDU-Rechtspolitiker Alexander Herrmann sagte am Mittwoch dem Tagesspiegel: „Für uns geht es dabei um keinen Schnellschuss, sondern eine intensive und umfassende Beratung nebst Anhörung , unter anderem der Richterschaft, im Parlament.“ Die CDU-Fraktion hatte den Antrag in den Ausschuss eingebracht. Bei der Richteranklage können auch Äußerungen oder Taten bewertet werden, die vor der Amtszeit eines Richters lagen. Dies ist im Disziplinarrecht nicht möglich. Die FDP-Rechtspolitikerin Maren Jasper-Winter und der SPD- Rechtspolitiker Florian Dörstelmann wiesen auf die Brisanz des neuen Instrumentes hin. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, unliebsame Richter könnten vom Parlament „abgewählt“ werden.

Dörstelmann und der CDU-Politiker Herrmann äußerten deshalb Sympathie für die Idee, dass nur eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Parlaments das Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung eines Richters auffordern kann. Das Gericht muss dann ohnehin mit Zwei-Drittel-Mehrheit über eine Versetzung in den Ruhestand entscheiden.

Sebastian Schlüsselburg, Rechtspolitiker der Linkspartei, betone: „Wir müssen alles für die Neutralität des Rechtsstaates tun, deshalb sollten wir auch dieses zusätzliche Instrument in den Instrumentenkoffer packen.“ Ohne ihre Namen zu nennen, erinnerte Schlüsselburg an die AfD-Richter Jens Maier und Malsack-Winkelmann. Außerdem an eine Mitarbeiterin der Berliner Staatsanwaltschaft, die auf einer Querdenker-Demonstration mitgelaufen war. Vor der Umsetzung der Richteranklage will der Rechtsausschuss noch eine Anhörung veranstalten. Eine Entscheidung im Berliner Abgeordnetenhaus wird erst nach einer möglichen Wiederholungswahl im kommenden Februar erwartet.

Der Tagesspiegel vom 20.10.2022, Seite 8

Quelle:https://www.tagesspiegel.de/berlin/wenn-richter-nicht-verfassungstreu-wirken-breite-mehrheit-im-abgeordnetenhaus-fur-die-richteranklage-8772304.html (Paywall)